
Von Robin Hofmann
Nun, da der niederländische Drogenkrieg auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit bekommt, wird eine alte Diskussion neu aufgewärmt: sollte Deutschland Cannabis legalisieren? Die kriminologische Antwort darauf vorweg: Ja, tut es endlich. Aber tut es richtig und vermeidet die Fehler der Niederländer. Soll heißen: legalisiert nicht allein die Nachfrageseite, sondern auch die Angebotsseite. In den Niederlanden herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass die sogenannte Hintertürproblematik der entscheidende Ausgangspunkt für die Misere ist in der sich das Land befindet. Zu Erinnerung: Drogenbanden tragen einen tödlichen Konflikt auf offener Straße aus. Maschinengewehre kommen zum Einsatz, Liquidationen sind an der Tagesordnung und Unbeteiligte sterben im Kugelhagel. Die Hintertürproblematik bezeichnet die absurde Situation in der sich coffeeshops seit Mitte der70er Jahre befinden: Sie dürfen Cannabis legal an Kunden verkaufen. Sie selbst aber haben keine Möglichkeit legal größere Mengen Cannabis für den Verkauf zu beschaffen. Um im Bild zu bleiben: Cannabis darf durch die Vordertür zwar raus aber nicht durch die Hintertür hinein. Die Politik hat diese absurde Situation geschaffen indem man schlichtweg versäumt hat, den Einkauf zu legalisieren.
Diese inkonsequente Haltung hat den idealen Boden bereitet für riesigen Drogenschmuggelnetzwerke der Niederlande. Aus Marokko und der Türkei werden seither riesige Mengen an Cannabis über ein ausgefeiltes Vertriebssystem eingeführt. Oder es wird gleich in den Niederlanden auf illegalen Plantagen in abgelegenen Gewächshäusern oder auf Dachböden von Wohnhäusern angebaut. Dies alles ist seit Jahrzehnten bekannt. Bis auf die ein oder andere Razzia schaute man weg und zelebrierte den liberale Drogenpolitik. Diese basiert auf der simplen Idee das Drogen nicht eine Frage der Strafverfolgung, sondern eine Frage der Gesundheit sind. Drogenkonsumenten muss geholfen werden, man sollte sie nicht bestrafen. Man richtete sich in dieser inkonsequenten aber liberalen Haltung gemütlich ein.
Doch mit dem Kokain änderte sich alles. Die Drogengangs merkten rasch das damit mehr Geld zu machen war. Sie sattelten um auf das weisse Gold aus Südamerika. Die Transitrouten und Vertriebswege aus den Niederlanden und hinein nach Europa blieben die gleichen. Zudem entdeckten die Kriminellen das Geschäft mit der Ecstasyproduktion. Heute ist die Provinz Limburg im Süden des Landes so etwas wie das Silicon Valley für synthetische Drogen. Eine Limburger Qualitätspille ist in Sydney für 25 australische Dollar zu haben. In der Produktion kostet sie wenige Eurocent. Das Produktionsproblem ist so groß, dass sich die Behörden in der Bekämpfung nunmehr verstärkt auf die Verklappung von Chemieabfällen aus der Ecstasyproduktion in der Natur konzentrieren. Diskutiert wurde etwa eine Annahmestelle für Chemikalien wo die Banden die schädlichen Stoffe abgeben können – anonym und kostenlos natürlich. Eine Art Babyklappe für Chemieabfälle. Doch immer noch besser als im Grundwasser.
Trotz alledem: Die Niederländer blieben lange bei Ihrer liberalen Haltung. Auch weil der Großteil der harten Drogen nicht im Land blieb sondern sich gleichmäßig über die offenen Grenzen auf Europa verteilte. Die märchenhaften Gewinne aus dem Kokain und Ecstasyhandel machten die Drogenbande reich. Mit dem Geld kam die Brutalität. Und der Größenwahn. Das Ergebnis lässt sich heute exemplarisch an der Person Ridouan Taghi und dem Marengo-Prozess beobachten. Marengo trial.
Was bedeutet dies für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland? Die Pläne der Politik sehen eine Regelung der Angebotsseite vor. Das ist gut, auch wenn der Teufel im Detail liegt. Wie will man den Cannabisanbau in der Praxis kontrollieren? Lösungen werden sich finden lassen. Eine andere Frage ist eine gesundheitspolitische: warum gerade jetzt die Legalisierung? Lebensmittelampel, Zuckersteuer, endlich erste Erfolge gegen die mächtige Tabaklobby durch Rauchverbot in Gaststätten und Werbebeschränkungen. Enorme Gesundheits- und Kriminalitätskosten verursacht durch Alkohol. Gesundheitspolitisch gehen wir in ganz Europa in eine klare Richtung: Stärkere Regulierung gesundheitsgefährdender Stoffe bis hin zu Verboten. Warum soll dann jetzt eine weitere Droge hinzukommen? Noch dazu eine deren negative Effekte auf die Gesundheit vor allem von Jugendlichen erwiesen sind? Und jetzt soll diese mit staatlichem Unbedenklichkeitssiegel an alle abgegeben werden. Wer da keinen Widerspruch sieht…
Es gibt kaum Kriminologen die heute noch ernsthaft ein Verbot von Cannabis vertreten. Jedenfalls sind mir keine bekannt. Dabei gäbe es einige interessante Aspekte der Legalisierung zu diskutieren. Etwa die Frage nach einem Normalisierungseffekt bzgl. härterer Drogen, der mit einer Legalisierung weicher Drogen einhergehen könnte. Damit wären wir beim eigentlichen Problem worüber kaum jemand in der Legalisierungsdebatte spricht: Wie konnte Kokain so normal werden in unserer Gesellschaft? Die gesundheitlichen Risiken sind hoch, die gesellschaftlichen Risiken sind noch höher. Der Kokainhandel ist zu ernstzunehmenden Sicherheitsproblem geworden – nicht nur in den Niederlanden. In Deutschland häufen die kriminellen Clans Reichtümer an und waschen bzw. reinvestieren die Gelder im legalen Wirtschaftskreislauf. Über die Folgen schreibe ich hier.
Aber wie groß ist das Kokainproblem wirklich? Wie viele Konsumenten gibt es in Deutschland? Wie bei den meisten empirischen Studien zum Drogenkonsum sind die Daten wenig belastbar. Bei jungen Menschen zwischen 15 und 34 schwankt der Konsum in 2020 zwischen 2 % und 5 %, je nach Quelle.Die Daten beruhen auf Selbstauskünften und sind daher sehr ungenau. Auch sind diese Zahlen abstrakt. Ein drastischeres Bild von der Problematik erlangt man, schaut man sich die Angebotsseite an. Dazu ein Rechenbeispiel: 2020 40 tons of cocaine wurden im Hafen von Rotterdam 40 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Man schätzt, dass etwa 1 % der Drogen von Zoll und Polizei entdeckt. Rechnerisch würden also 4000 Tonnen Kokain allein über den Hafen Rotterdam in die Niederlande gelangen (abzüglich der 1% beschlagnahmten Kokains, welche für die Rechnung vernachlässigbar sind). 4000 Tonnen sind 4.000.000.000 Gramm. Damit könnte die Niederlande allein über einen Hafen etwa die Hälfte der Menschheit mit einem Gramm Koks jährlich versorgen. EU-weit waren es Mitte Juni bereits 98 Tonnen beschlagnahmtes Kokain. 98 tons of seized cocaine in mid-June of 2021Übrigens: der Straßenwert von 1 Gramm Heroin beträgt etwa 70€. Die Rechnung kann jeder selber machen – mein Taschenrechner hat nicht genug Stellen dafür. All dieses Kokain wird irgendwo in Europa konsumiert.
Was bedeutet dies alles für die Diskussion über die Legalisierung von Cannabis für die Politik: Legalisiert es, doch behaltet den Normalisierungseffekt im Auge. Und dann lasst uns endlich über die wirklich wichtige Frage diskutieren: Was tun gegen Kokain?